Incipito
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Weltkrieg gegen die Juden?

    Eine Verteidigung der linken Antikriegsposition und eines kommunistischen Antikapitalismus

Ein wenig Recht hat die Bahamas schon, wenn sie den Kongress „Spiel ohne Grenzen“, welcher vor kurzem in München stattfand und an dem sich auch VertreterInnen des BgR und der Phase2 beteiligten, ein „Marketingevent von vier linken Zeitschriftenredaktionen inklusive schlechter Erlebnisgastronomie“ nennt. (Alle kursiven Zitate ohne Anmerkung sind aus dem Flugblatt der Bahamas „Kommunismus statt Antikapitalismus“ entnommen, welches in München verteilt und von Justus Wertmüller (Bahamas) zur gleichnamigen AKG Veranstaltung verlesen wurde.) Erwähnenswert ist da vielleicht noch, dass auch die Redaktion der Bahamas an ihrem Stand das eine oder andere Heft losgeworden ist, so dass es vielleicht nicht nur vier Zeitschriften gewesen sein mögen. Sicher war die Bahamas nicht Mitveranstalter der Konferenz und doch scheint der Vorwurf angesichts der Verkaufstände und der Verpflegung anlässlich der Antideutsch-Kommunistischen Konferenz u.a. der Bahamas in Berlin am letzten Wochenende reichlich schwach. Die den TeilnehmerInnen des Kongresses in München so überschwänglich im Flugblatt der Bahamas vorgeworfene „Abwehr der Zumutungen antideutscher kommunistischer Kritik“ muss ebenso wohl von den Organisatoren des Kongresses dann doch nicht so effektiv betrieben worden sein, denn außer Stefan Grigats Referat über Israelsolidarität waren noch mehrere andere Bahamas Autoren teilweise mit eigenen Vorträgen anwesend und auch sonst schien die Konferenz doch zumindest antideutsch „verseucht“ (R.Kurz) zu sein.

Ohne Zweifel war das „Spiel ohne Grenzen“ wenig ergebnisreich und von einer leicht verstörenden diskursiven Schizophrenie gekennzeichnet. Dieser Eindruck drängte sich auf, als sowohl der Phase2 Vertreter für eine, im Positionspapier des BgR zum Irakkrieg ausargumentierte, Forderung nach einem Bruch mit der friedensbewegten Zivilgesellschaft, als auch diejenigen Referenten, die auf ein beeinflussendes Mitmachen in dieser Bewegung drängten, gleichermaßen Beifall erhielten.

Das Bahamas-Flugblatt in der Tasche und in Leipziger Verhältnisse zurückgekehrt, die glücklicherweise Kurz‘scher Hygiene ermangeln, besuchte ich die einige Tage später stattfindende gleichnamige Veranstaltung der AKG. In diese hatte ich die Hoffnung gesetzt, die neueste bahamas-antideutsche Kritik, welche darauf abzielt, aus Antikapitalismus und Kommunismus Antagonismen zu machen, weitergehend zu verstehen. Ohne Zweifel ist Antikapitalismus keineswegs eine an sich bereits emanzipatorische Kategorie. Diese Basisbanalität linker Theorie, die ebenso auf das historisch vielgeschundene Wort Kommunismus zuträfe, konnte doch aber nicht alles sein, was da mitgeteilt werden sollte. So hoffte ich zumindest.

Die AKG hatte zur Verstärkung den Bahamas Redakteur Justus Wertmüller eingeladen, der nach einem kurzen Vorwort eines AKG Vertreters zum Rundumschlag ausholte. Rundumschlag, weil nicht alles was da Kritik sein sollte richtig oder zumindest an die richtige Adresse gerichtet war und zum Teil als überschwängliche Polemik daherkam. Highlights waren hier die Äußerungen zur rhetorischen Feinheit in Blättern wie dem Incipitio oder im Aufruf zum Spiel ohne Grenzen, die Wertmüller sinngemäß mit „Wer noch nicht mal richtig deutsch kann, der sollte auch nichts publizieren“ kommentierte. Der/die LeserIn möge also entschuldigen, wenn dieser Text in zu undeutschem Stil verfasst erscheint.
Der kaum zu überhörende Stolz auf die eigene – ohne Zweifel gut – ausgeprägte Fähigkeit mit der Sprache der Deutschen umzugehen, schwang unversehens in Empörung um, wenn andere diese benutzten, um so „aggressive“ Termini wie „Jussuf Wertmullah“ (iz3w) zu kreieren. Dieses ohne Zweifel wenig witzige Wortspiel war dem Genossen Wertmüller allerdings Ausgangspunkt einer wenig nachzuvollziehenden Opferstilisierung seiner selbst. „Das ist eine Aufforderung zum Draufhauen“ (Wertmüller live), meinte er zu erkennen. Wer so wenig mit Polemik umgehen kann, für den wäre es vielleicht praktikabel, die eigene Kritik etwas sachlicher zu formulieren. Denjenigen, denen – auch falsche - antideutsche Kritik allerdings wirklich ein Anlass zum „Draufhauen“ ist, gilt meine uneingeschränkte Verachtung. Die Position des BgR kann in unserem Positionspapier ‚So nicht’ (www.nadir.org/bgr) nachgelesen werden.

Dass sich der eigentliche Vortrag zum Thema des Abends in dem Verlesen des Flugblattes aus München erschöpfen sollte, welches ich blöderweise dort schon gelesen hatte, trug wesentlich zu seiner gefühlten Überlänge bei. Kommen wir also auf den strittigen Inhalt dieses Flugblattes zurück.

Dieses kritisiert unter anderem die angeblichen Lügen der Kriegsgegner aller Couleur. Eine solche wäre beispielsweise die Aussage „es würde zigtausende zivile Tote ... im Irak 2003 geben“. Diese vielgetätigte Vorhersage ist glücklicherweise nicht eingetreten. Angesichts der Opfer vergangener Kriege (Zweiter Golfkrieg: etwa 250.000 Opfer) ist dies allerdings keine infame Lüge, sondern eine auch zukünftig wahrscheinliche Voraussage, denn im Kriegsfall muss von der „massenhaften Tötung von Menschen“ (BgR Positionspapier zum Irakkrieg) ausgegangen werden – dies ist das Wesen des Krieges. Ohne Zweifel ist es allerdings denkbar, dass in vielen Fällen aus antiamerikanischem Ressentiment oder aus deutschem Vernichtungswunsch heraus die Opferzahlen überschätzt wurden. Diese böse Absicht allerdings jedem zu unterstellen, der die Realität des Krieges – das massenhafte Sterben – benennt, würde die sogenannte antiamerikanische und antisemitische Internationale bis in die AKG hinein verlängern, die „die Intervention im Irak mit wahrscheinlich Tausenden von Toten“ (AKG Flugblatt „Völkerfreundschaft heißt Volksgemeinschaft“) unter Brechreiz verteidigen mussten.

Die beiden nächsten Lügen der KriegsgegnerInnen, „es würde sich niemals etwas bessern im Irak durch den bewaffneten Sturz des Regimes“ und „unmöglich könnte sich die Bevölkerung befreit fühlen“ sind tatsächliche und zeugen ohne Zweifel von ausgeprägtem Ressentiment und der unzulässigen Projektion deutscher Zustände. Das BgR jedenfalls hat ähnliches niemals gedacht, geschweige denn veröffentlicht. Wir haben uns lediglich die Frage herausgenommen, ob denn der bewaffnete Sturz des Regimes, der seinem Fortbestand ohne Zweifel vorzuziehen war, die beste oder gar die einzige Lösung dieses Problems gewesen sei und ob die Affirmation dessen, was ohnehin geschieht, mit emanzipatorisch kommunistischer Kritik am Bestehenden vereinbar ist.
Die bellizistische Haltung muss sich vorwerfen lassen, der gesellschaftlichen Normalisierung des Militärischen in die Hände zu spielen und damit auch der Militarisierung der EU und Deutschlands zuzuarbeiten. Die kürzlich veröffentlichten „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ der Bundeswehr (www.bundeswehr.de) legt ein deutliches Zeichen von dieser Militarisierung ab.
Keineswegs sind alle Kriege kategorisch abzulehnen – keine Bombe auf Dresden ist bedauernswert – und doch bedarf eine Kriegsbefürwortung eine besondere Legitimierung, die im Falle des Irak sehr zweifelhaft war und ist.

Ein erfreuliches Resultat des Krieges ist auf jeden Fall, dass „die Feinde Israels geschwächt dastehen“ (sinngemäß SZ 12.Mai); zumindest kurzfristig. Doch dies sagt über die Wahrheit der von der Bahamas als Lüge diffamierten Aussage „beide Kriege [Afghanistan und Irak] seien eher eine Bedrohung als eine Entlastung für den jüdischen Staat“ nichts aus. Gerade dem so um die Zurückdrängung von undeutschem publizistischem „Geschwurbels“ bemühten Justus Wertmüller sollte ein Blick in den deutschen Duden genügen, um „die Lüge“ als „falsche oder unwahre Aussage“ (ebenda) zu entlarven und zu erkennen, dass damit die eigene obige Aussage, deren Wahrheit oder Falschheit aus heutiger Perspektive nicht feststeht, ausdrücklich keine Lüge sein kann.
In Wahrheit war Israel sehr wohl während des Kriegs durch Raketenangriffe bedroht - nicht umsonst mussten die Israelis wochenlang Schutzmasken mit sich herumtragen. Dass sich der antisemitische Terrorismus kaum geschwächt zeigt, bewiesen tragischerweise die kürzlichen Attentate in Riad, Casablanca und Jerusalem deutlich. Es bleibt tatsächlich nur zu hoffen, dass sich die Voraussagen der Bahamas erfüllen und die Feinde Israels sich auch mittel- und langfristig geschwächt zeigen. Die antiamerikanischen Unruhen der letzten Wochen im Irak und die durchaus reale Gefahr der Bildung eines islamischen Gottesstaates nach iranischem Vorbild ließen durchaus auch andere Wahrnehmungen zu. Die für die bellizistische Linke kriegsbegründende Hoffnung auf die Rettung der Möglichkeit der Emanzipation ist keineswegs bereits realisiert. Im Gegensatz zur Bahamas geben wir allerdings zu, dass wir die Zukunft nicht kennen.

Wer die Sorge um Israel allerdings permanent und überall mit dem Wunsch identifiziert, dieses „schlussendlich doch [der Vernichtung] preiszugeben“, ist offensichtlich zu keiner Analyse der Wirklichkeit und damit zu keiner wirklichen Kritik mehr in der Lage.

Die heutige Situation ist ohne Zweifel von einem erschreckenden, global verbreiteten Antisemitismus unterschiedlicher Intensität geprägt, an dem es nichts zu beschönigen gibt. Wer allerdings heute bereits den „Weltkrieg gegen die Juden“ zu erkennen glaubt, vielleicht bestenfalls, um einen rhetorisch markigen Abschluss für die eigene Flugschrift zu erheischen, liegt falsch. Die Realität weicht in jeder Hinsicht offensichtlich vom realen letzten Weltkrieg gegen die Juden ab, der in Auschwitz gipfelte. Eine solche Kritik ist daher wenig treffend, da es ein leichtes für die eigentlich zu recht Kritisierten ist, diese als Absurdität abzutun.

Es scheint sinnvoller, statt Kategorien wie Antikapitalismus verabsolutierend abzulehnen, deutlich zu machen, dass Positivbezüge auf weltverschwörerische Projektionen, deutsches oder „stalinistisches Arbeitsethos“, „Gesinnungsterror“ oder „schwedischen Wohlfahrtsstaat“ weder emanzipatorisch noch antikapitalistisch sind.

Ohne Zweifel müsste ein emanzipatorisches Projekt das Individuum vor die Gemeinschaft stellen. Es muss klargemacht werden, dass die einzige positive Auflösung des heutigen globalen Kapitalismus nur eine kosmopolitisch kommunistische sein kann. Und so ist der kommunistische Antikapitalismus zu verteidigen im gleichen Maße, wie der sozialdemokratische und mehr noch der nationalsozialistisch-völkische „Antikapitalismus“ als das zu entlarven sind, was sie in Wahrheit verhüllen – das Leiden verewigenden Reformismus und Barbarei.
Es ist daher natürlich falsch, dass „Antikapitalismus ... seinem Wesen nach gegen die Befreiung der Einzelnen und für den Triumph des völkischen Prinzips, also immer auch gegen den Kommunismus“ gerichtet sei. Vielmehr gilt dies nur für den sozialdemokratischen und nationalsozialistisch-völkischen „Antikapitalismus“, der als gefährlich und antiemanzipatorisch entlarvt und bekämpft werden muss.

Bei genauer Betrachtung sind diese beiden, von Wertmüller als antikapitalistisch benannten Denkformen, nicht einmal dies, da sie in keinem Falle eine Ablehnung von Geld, Ware oder Lohnarbeit enthalten und keineswegs die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen, was für eine wirkliche Ablehnung des kapitalistischen Systems unentbehrlich wäre. Eine unzulässige, weil im obigen Sinne falsche, Verwendung dieser Begrifflichkeit im politischen Sprachgebrauch wäre zu denunzieren.

Die Ablehnung eines emanzipatorischen, also kommunistischen Antikapitalismus ist fatal, da dessen Realisierung die unbedingte Grundlage für den Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft darstellt.
Ganz analog wäre unbedingt klarzumachen, dass die „kommunistischen“ Systeme der Gegenwart und des ehemaligen Ostblocks eben keine solchen waren. „[Das System im Osten] mochte autoritärer, gerechter, sozialer, humaner oder inhumaner als das westliche Gegenstück gewesen sein - eines war es mit Sicherheit nicht: kommunistisch. Denn kommunistisch ist eine Gesellschaft nicht, wo weder Geld, Ware und Preis abgeschafft wurden, noch [...] die Lohnarbeit; wo das Verteilungsprinzip nicht „jedem nach seinen Bedürfnissen“ heißt, sondern „Jedem nach Maßgabe seines Ranges in der Hierarchie“; [...] wo ein gigantisches Geflecht von Bürokraten exakt das Gegenteil dessen bewirkte, was Marx als Gesellschaftsform in Aussicht stellte, den „Verein freier Menschen“.“ (Wolfgang Pohrt)

Für eine erfolgreiche Kommunikation einer lebendigen emanzipatorischen Kritik und Aufbau von „negativem Potential“ (J.Agnoli) sind Kategorien für die Negation des Bestehenden und die Utopie des Vernünftigen – also Antikapitalismus und Kommunismus – essentiell.

== M. ==
[Nummer:08/2003 ]
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Datei wurde angelegt am: 13.09.2003